Warum ich (nicht) mit Kritik umgehen kann
… und dein Gehirn auch nicht.
Kritik ist wichtig. Sagt man. Steht so in Ratgebern, wird auf LinkedIn gepostet und in Bewerbungsgesprächen höflich behauptet.
Ich kann super mit Kritik umgehen. Also… wenn sie freundlich ist. Und leise. Und möglichst nicht über mich. Am besten gar nicht. Also wirklich: Gar. Nicht. Danke.
Aber warum genau trifft uns Kritik oft härter als sie eigentlich sollte? Warum reicht ein kleiner Kommentar, um uns stundenlang ins mentale Kopfkino zu schicken, inklusive Soundtrack aus Scham, Wut und Selbstzweifel? Die Antwort beginnt – wie immer – in deinem Gehirn. Und endet – wie so oft – in deiner Kindheit. Und mittendrin? Ich. Du. Wir alle.
Dein Gehirn: nicht gebaut für „Feedbackkultur“
Kritik aktiviert das limbische System, vor allem die Amygdala. Sie ist so etwas wie die Drama-Queen des Gehirns: Sobald Gefahr auch nur vermutet wird – zack, Notfall! Dabei ist die Kritik deiner Kollegin vielleicht gar keine Gefahr. Aber dein Gehirn denkt evolutionär. Und es unterscheidet nicht zwischen „Du hast da einen Fehler gemacht“ und „Ein Säbelzahntiger steht hinter dir“. Beides bedeutet: Bedrohung, Alarm, Handlung.
Fight – du gehst in Verteidigung.
Flight – du ziehst dich zurück.
Freeze – du starrst ins Leere und nickst, während deine Seele kurz offline geht.
Oder, mein persönlicher Favorit: People Pleasing.
Du entschuldigst dich, bietest Kuchen an und überlegst heimlich, wie viel eine neue Identität kostet.
Kritik ist keine Info – sie ist (erstmal) ein Trigger
Das Problem: Kritik trifft nicht nur dein kognitives Verstehen, sondern dein emotionales Gedächtnis. Vor allem dann, wenn du früh gelernt hast: „Liebe muss man sich verdienen.“ Wenn Lob rar war, aber Tadel Standard. Dann klingt Kritik schnell wie: „Du bist nicht gut genug.“ Egal wie sachlich sie gemeint ist. Egal wie oft du rational weißt: „Das ist doch nur Feedback.“
Und genau da wird’s toxisch. Denn dann beginnst du, jede Kritik persönlich zu nehmen. Nicht: „Ich habe einen Fehler gemacht.“ Sondern: „Ich BIN ein Fehler.“ Und plötzlich brennt innerlich dein kompletter Lebenslauf.
Der innere Gerichtshof tagt sofort
Nach außen bleibst du cool. Vielleicht sagst du sogar: „Danke für die Rückmeldung.“
Innerlich hat sich längst ein Tribunal formiert. Du bist Richterin, Angeklagte und Zeugin in einem. Du suchst Beweise dafür, dass die Kritik stimmt. Und ignorierst dabei alles, was dagegen spricht.
Das nennt sich übrigens Bestätigungsfehler – ein kognitiver Bias, bei dem wir bevorzugt das wahrnehmen, was unser Weltbild (in dem Fall: „Ich bin nicht gut genug“) bestätigt.
Und was hilft jetzt?
Kurz innehalten. Wirklich. Atmen. Nicht antworten. Noch nicht.
Dann: Schreib auf, was genau gesagt wurde – ohne Bewertung. Und dann: Was du daraus machst.
Denn oft ist die Kluft zwischen dem, was gesagt wurde („Du warst heute unkonzentriert“) und dem, was du gehört hast („Ich bin ein unfähiger Mensch“) riesig.
Und frag dich ernsthaft:
„Würde ich das so zu einem guten Freund sagen?“
Wenn nein: Dann sei netter zu dir.
Fazit: Kritik ist ein Werkzeug – keine Waffe
Aber dein Nervensystem kennt den Unterschied nicht automatisch. Das musst du lernen. Mit Übung, Reflexion und manchmal auch mit ein bisschen Abstand.
Und vielleicht auch mit einem Augenzwinkern.
Denn wer gelernt hat, sich selbst in Frage zu stellen, kann auch lernen, sich selbst den Rücken zu stärken.
Und bis dahin? Schreib dir ruhig auf die Stirn:
„Ich darf Kritik annehmen – ohne mich selbst abzuwerten.“
Oder trag’s als Tattoo. Aber nur, wenn du’s wirklich verkraftest, falls es jemand kritisiert.
Ich arbeite daran, Kritik anzunehmen – ohne mich selbst abzuschießen. Es läuft… sagen wir: in Wellen. Aber hey – Wachstum ist eben kein Netflix-Format. 💜


