„Lächle, auch wenn dir zum Heulen ist“ Warum Kalendersprüche auf Instagram nicht deine Traumata heilen werden
🌸 „Lächle, auch wenn dir zum Heulen ist“
Warum Kalendersprüche auf Instagram nicht deine Traumata heilen werden
Du scrollst durch Instagram.
Zwischen einem Smoothie-Bowl-Foto und einer Person in der Lotuspose auf einem Felsen siehst du ihn wieder: den Kalenderspruch.
„Du musst nur loslassen.“
„Alles passiert aus einem bestimmten Grund.“
„Happiness is a choice.“
Und du denkst dir: Ja klar. Und Depression ist einfach ein Lifestyle-Fehler.
Willkommen im Zeitalter der emotionalen Vereinfachung, powered by Script Fonts, beige Farbverläufe und spirituelles Gaslighting.
🧠 Warum liebt dein Hirn diese Sprüche?
Ganz einfach:
Weil dein Gehirn ein faules kleines Ding ist.
Es liebt kognitive Abkürzungen (Heuristiken), schnelle Belohnungen und das Gefühl von Kontrolle. Ein schöner Satz, kurz & bündig, klingt nach Lösung. Das ist wie Zucker fürs Denkorgan – kurz süß, danach leer.
Ein Kalenderspruch aktiviert dein Belohnungssystem (Hallöchen Dopamin!) – du fühlst dich einen Moment lang gesehen. Aber das war’s auch schon. Die emotionale Tiefe? Die bleibt in der Caption hängen.
🧻 Die kalenderspruchhafte Entsorgung echter Gefühle
Stell dir vor:
Jemand hat eine Panikattacke.
Antwort aus dem Insta-Universum:
„Du bist stärker, als du denkst.“
Danke. Das hilft jetzt genauso viel wie ein Minztee bei einer Blinddarmentzündung.
Diese Art von Spruch wird in der Psychologie auch als toxische Positivität bezeichnet.
Ein Zustand, in dem negative Emotionen nicht nur nicht erlaubt sind, sondern aktiv überschminkt werden. Und zwar mit rosa Lipgloss.
💅 Affirmation ≠ Therapie
Nein, du kannst dich nicht aus einem Trauma herausaffirmieren.
Auch nicht aus Angststörungen, Bindungsproblemen oder aus der Tatsache, dass du das zehnte Jahr in Folge mit Menschen chillst, die dich emotional dehydrieren.
Kalendersprüche wirken wie eine Insta-Version der Verhaltenstherapie – nur ohne Therapeutin, ohne Tiefe, ohne Ziel.
Sie setzen auf Symptomkosmetik statt Ursachenanalyse.
🪩 Der Spruch muss zum Feed passen – nicht zu deinem Innenleben
Was wirklich zählt:
Die Ästhetik des Spruchs.
Er muss zur Farbe deiner Tasse passen, zu deinem Haarton und natürlich zu deinem Branding.
Egal, ob du gestern innerlich zusammengebrochen bist – Hauptsache, die Serifenschrift sieht auf dem Reel cute aus.
Emotionale Authentizität?
Unästhetisch.
🛋️ Was du stattdessen tun könntest (aber niemand will’s hören)
Trauer zulassen, ohne sie gleich „umzuwandeln“
Wut spüren, ohne sie zu bewerten
Mit deinem inneren Kind reden, statt es mit Pastellfarben zum Schweigen zu bringen
Oder noch radikaler: mit einer echten Therapeutin sprechen
Ich weiß. Völlig absurd.
Fazit: Kalendersprüche sind wie Einwegpsychologie – hübsch, aber giftig bei Dauergebrauch.
Und weil ich dich mag, hier ein letzter Spruch zum Mitnehmen:
„Du bist genug. Aber bitte hör auf, dich mit Pinterest zu therapieren.“
Mit bitteren Grüßen aus der Psychologie,
Zoya


